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NZZ: Die SVP will Winterthur zum Atomstrom zwingen

Strom aus Kernkraft gilt als grün und günstig, aber aus politischen Gründen können Private ihn kaum noch kaufen
NZZ vom 27.9.23

In Winterthur soll der Stromversorger zwingend wieder Kernenergie anbieten müssen. Alles andere sei bevormundend, sagt die SVP.

Die Schweiz hat eine Marktwirtschaft, aber nicht beim Strom. Nur grosse Verbraucher können ihren Anbieter frei wählen. Privathaushalte und Kleinbetriebe sind ihren örtlichen staatlichen Monopolisten ausgeliefert.

Einer dieser marktbeherrschenden Verteiler ist Stadtwerk Winterthur. Per Anfang 2020 tat das Stadtwerk etwas, was nur eine Firma mit gefesselten Kunden ungestraft tun kann: Sie zwang Tausenden von Abnehmern ein teureres Produkt auf.

Über 9000 Privathaushalte und 300 Unternehmen wurden von «e-Strom grau», der unter anderem aus Kernkraft bestand, auf einen kostspieligeren kernkraftfreien Tarif umgebucht.

Der Schritt erfolgte auf Anweisung des Stadtrates; dieser wiederum setzte einen Parlamentsbeschluss um und berief sich auch auf die Klimastreiks. Winterthur will bis 2040 «netto null» erreichen, und dazu gehört auch die Energieversorgung. Kernkraft ist für die meisten Umweltschützer ein Tabu.

Heute bietet das Stadtwerk noch drei Stromprodukte an, «Klima Gold», «Klima Silber» und «Klima Bronze». Die Energie des guten Gewissens hat ihren Preis. 2019 kostete die Kilowattstunde 21 Rappen. 2024 werden die Winterthurer knapp 36 Rappen bezahlen müssen, also etwa 70 Prozent mehr. Dies zeigt der Strompreisrechner des Bundes.

Ein Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von 4500 kWh muss im kommenden Jahr somit etwa 700 Franken mehr auslegen als noch 2019. Zwar sind die Strompreise auch in anderen Gemeinden gestiegen, doch in Winterthur war das Plus vergleichsweise hoch: Noch 2019 lag die Gemeinde nur leicht über dem Durchschnitt. Jetzt gehört sie klar zu den teuren Schweizer Gemeinden.
Idealerweise bis zu 100 Prozent Kernkraftstrom

Die Winterthurer SVP hat die steigenden Strompreise nun als Politthema entdeckt. Sie hat eine Initiative eingereicht, welche das Stromangebot vergrössern und verbilligen will, und zwar dank der Kernkraft.

Die Initiative «Ja zur freien und günstigen Stromwahl» soll die Stadt dazu bringen, neben den heutigen Klimatarifen zwingend wieder ein Stromprodukt anbieten zu müssen, das zu mindestens zwei Dritteln aus Kernenergie besteht, idealerweise sogar zu 10o Prozent.

Christian Hartmann ist SVP-Stadtparlamentarier in Winterthur und einer der Väter der Initiative. «Es geht uns nicht um neue Kernkraftwerke», sagt er. «Aber in den bestehenden Schweizer Anlagen wird der Strom sowieso produziert. Also sollte man ihn auch in Winterthur kaufen können.»

Vor vier Jahren habe die Stadt das günstigste Produkt aus ideologischen Gründen einfach gestrichen. Dies gelte es zu korrigieren, sagt er. Ausserdem sei es den Kunden zu überlassen, welches Produkt sie wählen würden. «Alles andere ist unliberal und bevormundend», sagt Hartmann.

Die Partei beruft sich in ihrem Argumentarium zudem auf einen Entscheid der EU: Diese hatte letztes Jahr die Kernkraft als grün deklariert. Die Winterthurer SVP fordert deshalb, dass das Stadtwerk die Kernenergie nicht nur anbieten, sondern auch als klimafreundlich vermarkten müsse.

Leibstadt produziert so günstig wie noch nie

Im Vordergrund steht aber das Sparpotenzial, und dieses erscheint bei der Kernenergie auf den ersten Blick tatsächlich als gewaltig. Der AKW-Strom kann nämlich sehr günstig hergestellt werden.

Das Kernkraftwerk Leibstadt, das einen Siebtel des Schweizer Stroms produziert, vermeldete für 2022 die tiefsten Produktionskosten seiner bald 40-jährigen Geschichte: rund 4,6 Rappen pro Kilowattstunde.

Nur ist das nicht der Preis, den die Werke und ihre Endkunden bezahlen. Dies zeigt ein Blick auf die Preisblätter von Anbietern, welche den Graustrom immer noch im Portfolio führen.

Die Städtischen Betriebe Olten bieten ihren Graustrom im kommenden Jahr nur gerade 0,7 Rappen pro Kilowattstunde günstiger an als den Standardstrom. Bei einem Verbrauch von 4500 kWh entspricht dies einer Einsparung von rund 30 Franken pro Jahr.

Auch die St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke (SAK) verkaufen noch Graustrom. Er ist pro Kilowattstunde genau 1 Rappen günstiger als das Standardprodukt Naturstrom Basic. Die Durchschnittsfamilie spart damit also 45 Franken.

Nun besteht Graustrom nicht immer ausschliesslich aus Kernkraft, er kann unter anderem auch Wasser-, Gas- und sogar Kohlestrom enthalten.

Doch auch reiner Kernkraftstrom ist nicht günstiger: Beim Zuger Anbieter WWZ besteht der Graustromtarif nachweislich zu 100 Prozent aus Strom aus Schweizer Kernkraftwerken. Die Einsparung gegenüber der Wasserkraft? Etwa 28 Franken pro Jahr bei 4500 kWh Verbrauch.

Atom ist jetzt teurer als früher Solar

Betrachtet man die Zuger Strompreise über mehrere Jahre, zeigt sich: Nicht die Wahl des Produkts ist der massgebende Kostenfaktor, sondern der allgemeine Preisanstieg an den Strommärkten. Preistreibend war vor allem die Invasion Russlands in die Ukraine.

Innerhalb von nur zwei Jahren stiegen die Zuger Strompreise um 50 Prozent, und zwar sowohl für die Kern- wie für die Wasserkraft. Im Jahr 2024 wird der günstige Kernkraftstrom mehr kosten als zwei Jahre zuvor das damals teuerste Solarstromprodukt.

Da spielt es auch keine Rolle, dass die Kernkraft so günstig produziert werden kann wie noch nie. Entscheidend für die Verbraucher sind nicht die Gestehungskosten, sondern die Verkaufspreise.

Weil viele Anbieter ihren Strom jeweils weit im Voraus gestaffelt mit Termingeschäften einkaufen, drücken erst jetzt die happigen Aufschläge voll auf die Preise durch. Genau dieser Effekt spielt in Zug und auch in Winterthur, Kernenergie hin oder her.

Gestiegen sind aber auch die übrigen Komponenten des Strompreises, etwa die Netznutzung. Und nicht zuletzt fällt mit den höheren Preisen auch eine höhere Mehrwertsteuer an. Das alles gilt unabhängig vom Stromprodukt.

Christian Hartmann von der SVP kennt die vergleichsweise geringen Differenzen zwischen den Preisen für Wasser- und Kernkraftstrom. «Aber gerade für Gastro- und Gewerbebetriebe mit einem hohen Stromverbrauch fallen auch kleine Änderungen stark ins Gewicht», sagt er.

In Zürich ist der reine Energiepreis sogar gesunken

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Initiative tatsächlich nach den richtigen Instrumenten ruft: In der Stadt Zürich gibt es wie in Winterthur keinen Strom aus Kernkraft mehr im Strommix. Doch dort sind die Preise in den letzten Jahren nur um etwa 15 Prozent gestiegen, auf vergleichsweise günstige 24,5 Rappen pro Kilowattstunde.

Der reine Energiepreis ist in Zürich sogar ganz leicht zurückgegangen – der Preisanstieg für den an die Steckdose gelieferten Strom geht alleine auf höhere Netzkosten und Abgaben zurück.

Zürich kommt so glimpflich davon, weil die Stadt sich im Unterschied zu Winterthur mit Strom aus eigenen Werken versorgen kann, vor allem mit Wasserkraft. Sollte die Winterthurer SVP also nicht eher dem Stadtzürcher Beispiel folgen und einen Ausbau der eigenen Kapazitäten fordern?

«Vor 100 Jahren hätte ich dem zugestimmt», sagt Hartmann. Doch inzwischen sei der Zug für neue Ausbauten, etwa Wasserkraftwerke, längstens abgefahren. Neue Erneuerbare wiederum, etwa Wind, seien alles andere als günstig und dazu hoch umstritten.

Wann die Winterthurer Kernkraft-Initiative an die Urne kommt, steht noch nicht fest. Im November will der Stadtrat zur Forderung Stellung nehmen.

Erst recht keinen Termin gibt es für jenes Instrument, das private Konsumenten schweizweit am nachhaltigsten vor zu teuren Anbietern schützen würde – einen komplett liberalisierten Strommarkt.

Link zum Artikel auf nzz.ch

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